Fremdenfeindlichkeit mit Argumenten begegnen: „Wir brauchen mehr Aufklärung“

16.4.2013

joergenklussmann

Interview mit Studienleiter Jörgen Klußmann Mehr Aufklärung – das wollte die Akademie mit der Tagung „Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und zunehmende Gewalt in Europa“ leisten. Die Journalistin Ebba Hagenberg-Miliu sprach ...

Interview mit Studienleiter Jörgen Klußmann

Mehr Aufklärung – das wollte die Akademie mit der Tagung „Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und zunehmende Gewalt in Europa“ leisten. Die Journalistin Ebba Hagenberg-Miliu sprach im Vorfeld mit Tagungsleiter Jörgen Klußmann.  

Hagenberg-Miliu: Ihre Tagung am 12. und 13. April heißt „Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und zunehmende Gewalt“ – ein gerade für Bonn nach dem bewegten Jahr 2012 interessantes Thema. Was können wir erwarten?

Jörgen Klußmann: Wir wollen uns mit dem Phänomen des zunehmenden Rechtspopulismus und Rechtsextremismus befassen. Dazu werden wir die Situationen in verschiedenen Ländern beleuchten. Geplant sind neben Deutschland, Frankreich, Schweden, Tschechien und Schweden, in denen in den letzten Jahren rechte Kräfte erstarkt sind. Bonn hat ja auch einige leidige Erfahrungen machen müssen. Die Ausschreitungen im letzten Jahr vor der König-Fahd-Moschee sind ja auch durch die Rechtspopulisten mitprovoziert worden. Rechtspopulistische Bewegungen in Europa haben sich das Feindbild Islam mit Bedacht ausgesucht, weil sie wissen, dass viele Menschen Angst vor islamistischen Terror haben. Durch ihre Aktionen schüren sie aber nur die Ressentiments und erschweren den notwendigen Dialog mit der Mehrheit der gemäßigten Muslime. Das wird auch ein Thema bei uns sein.

Hagenberg-Miliu: Sie decken innerhalb der Evangelischen Akademie das Arbeitsfeld Politik ab. Wie sieht Kirche hier ihre Aufgabe?

Jörgen Klußmann: Die Kirche darf sich nicht aus der Politik heraushalten. Das Evangelium verpflichtet uns Christen zur Gerechtigkeit, zum Frieden und zur Bewahrung der Schöpfung. Für viele Christen folgt daraus ein aktives Engagement. Andererseits haben sich viele Menschen auch deswegen von der Kirche abgewandt, weil sie meinen, dass sie zu wenig tut. Dabei sind die Kirchen nach wie vor starke Lobbyisten und Aktivisten in Sachen Gerechtigkeit, Frieden, Umwelt und Humanität. Wir in der Akademie versuchen, die Themen, die den Menschen besonders unter den Fingern brennen, anzusprechen.

In meinen Bereich fallen so unterschiedliche Themen wie Afghanistan, der Euro, Frieden in Nahost  oder die Zuwanderung. Aber auch die Kollegen befassen sich mit brisanten Fragen, wie z.B. „ist Sterbehilfe ethisch vertretbar“ oder „Brauchen wir einen gesetzlichen Mindestlohn?“

Insbesondere schlägt mein Herz aber für die Konfliktbearbeitung und die Friedensethik.

Ebba Hagenberg-Miliu: Gibt es denn wirklich eine Form christlicher Konfliktbearbeitung?

Jörgen Klußmann: Ich denke, dass Versöhnung als ein Ziel der Konfliktbearbeitung sehr starke christliche Wurzeln hat. Ich bin seit fast zehn Jahren nebenberuflich in meiner Freizeit als Trainer und Coach für Konfliktbearbeitung in vielen Krisengebieten der Welt tätig. Mein Selbstverständnis als Christ und religiös und spirituell interessierter und motivierter Mensch hat mir dabei immer geholfen, zu begreifen, wie notwendig eine Aussöhnung zwischen Täter und Opfer ist. Dabei geht es darum zu erkennen, was den Täter angetrieben  hat und welches Leid das Opfer erdulden musste. Eine Aussöhnung ist nur dann möglich, wenn beides gewürdigt wird. Dann kann es auch Vergebung und Versöhnung geben. Ich denke, dass dieses Konzept universell gültig ist. Aber nur das Christentum hebt die Pflicht zur Vergebung besonders hervor, wie man schon im Vaterunser bemerken kann.

Ebba Hagenberg-Miliu: Welche unterschiedlichen Diskussionspartner bringen Sie also hier in Bonn in öffentlichen Veranstaltungen an einen Tisch?

Jörgen Klußmann: Wir bemühen uns darum, möglichst unterschiedliche Meinungen und Auffassungen an einen Tisch zu bringen. Das kann dann schon mal der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, und der Leiter des  palästinensischen Zentrums für religiöse und kulturelle Studien, Dr. Gheris Khoury, sein. Vor allem bemühen wir uns aber um echte Expertise, sei es aus Wissenschaft, Politik oder der Zivilgesellschaft. Unsere Referentinnen und Referenten sind in Fachkreisen anerkannte Experten, die nachweislich zu den relevanten Themen gearbeitet haben. Wir wollen, dass interessierte Bürger mit diesen Experten ins Gespräch kommen, und  wollen so Aufklärung und Information bieten, die über Zeitungslektüre und TV- Dokumentationen hinausgehen.  Bei uns hat man Gelegenheit diese Menschen persönlich zu treffen und ihnen Fragen zu stellen.

Ebba Hagenberg-Miliu: Wo haben Sie schon besondere Akzente gesetzt? Welche Tagung war für Sie besonders eindrücklich?

Jörgen Klußmann: Für mich besonders eindrücklich sind häufig die Tagungen, in denen es konkret um die Frage der Bewahrung des Friedens geht. Sei es in Afghanistan, Nahost oder in Deutschland. Immer wieder spannend sind die Tagungen zum christlich-islamischen Dialog, bei der sich häufig zeigt, wie verunsichert sowohl Christen als auch Muslime sind. Die Einen, weil sie sich durch fundamentalistische Äußerungen und leider auch Terror bedroht fühlen, die Anderen, weil sie sich ausgeschlossen und verunglimpft fühlen. Da kommt es auf besonderes Fingerspitzengefühl an. Außerdem darf man keine Angst vor scharfer Kritik am eigenen Standpunkt haben. Interessanterweise ist dies bisher aber nur von rechter Seite geschehen.

Ebba Hagenberg-Miliu: Und noch einmal zurück zur kommenden Tagung: Wie könnte ein Engagement gegen das Erstarken jeglicher extremistischer Kräfte auch vor Ort aussehen? Stichwort Salafisten-Hochburg Bonn.

Jörgen Klußmann: Wir brauchen mehr Aufklärung. Im Zeitalter der Desinformation durch propagandistische Internetseiten von salafistischer und rechter Seite muss dafür gesorgt werden, dass unabhängige, objektive und sachdienliche Informationen zur Verfügung stehen, die sich mit der Lebenswirklichkeit der Menschen auseinandersetzen. Besonders junge Menschen brauchen Aufklärung aber auch Anreize, um nicht in die Fänge von den Rattenfängern zu kommen. Dazu müssen wir ihnen berufliche und soziale Perspektiven bieten. Es ist ein Skandal, dass extremistische Kräfte – egal von welcher Seite sie kommen – sich die Freiheiten der Demokratie zu Nutze machen. Hier ist auch wieder mehr Wehrhaftigkeit gefragt. Verbote können sicher helfen, aber auch empfindliche Strafen bei Diskriminierungen müssen möglich sein – vor allem aber Anerkennung der bereits geleisteten Integrationsbemühungen gerade von christlicher und islamischer Seite. Und dazu wurde ja in Bonn bereits schon einiges geleistet. Es lohnt sich, in den Kirchen- und Moscheegemeinden nachzufragen, was es alles an Aktivitäten gibt.

Das Interview ist in einer kürzeren Fassung am 8. April im General-Anzeiger Bonn erschienen.

Mehr zum Thema:
>> Ausführliches Tagungsprogramm „Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und zunehmende Gewalt in Europa“ [539,37 KB]

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