Engagement für den Frieden war eine Außenseiterposition

Akademietagung zum Ersten Weltkrieg

In diesen Tagen jährt sich der Beginn des Ersten Weltkrieges, der „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“, zum 100. Mal. Bereits im März 2014 hat die Akademie diesen Gedenktag im Rahmen einer Tagung in den Blick genommen.

Ein Schwerpunkt der Tagung lag auf der Rolle der Kirchen vor und während des Krieges – ein Aspekt, der bei der Rückschau auf den Ersten Weltkrieg häufig unbeachtet bleibt, so Studienleiter Jörgen Klußmann.

Engagement für den Frieden war eine Außenseiterposition in den Kirchen
Die Ausführungen dazu kamen von Professor Dr. mult. Gerhard Besier, Dresden. Das Engagement für den Frieden vor und während des Ersten Weltkriegs sei in kirchlichen Kreisen eine eher verpönte Außenseiterposition gewesen, auf die man sich nicht habe festlegen wollen, hielt der Theologe und Historiker mit Blick auf die Rolle der Europäischen Kirche vor und während des Krieges fest. Dabei lenkte er den Blick insbesondere auf Frankreich, Großbritannien und Deutschland.

Frühe Friedensinitiativen wurden boykottiert
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts habe es frühe Friedensinitiativen gegeben, z.B. die „Peace Maker“ in Großbritannien ebenso wie zahlreiche christliche-pazifistische Versuche in Deutschland. Dazu sei u.a. das Engagement des Berliner evangelischen Theologen Friedrich Siegmund-Schultze zu zählen.  Doch diese erste ökumenische Bewegung wurde von den großen Kirchen nicht toleriert, sondern boykottiert. „Das Engagement für den Frieden galt als emotional kaum anmutendes Minderheitenanliegen.“ Seine Anhänger wurden als randständige Leute gewertet, dem linken Spektrum zugehörig und nicht staatskonform. Mit dem Kriegsbeginn 1914 sei der ökumenische Geist  in den Kirchen „schier wie weggeblasen“ gewesen. Erst in den 1930er Jahren, mit den ökumenischen Bewegungen „Life and Work“ und „Faith and Order“, Wegbereiter des heutigen Ökumenischen Rats der Kirchen, habe die Friedensbewegung wieder an Boden gewonnen.

Internationale Bemühungen um Versöhnung wichen einer nationalen religiösen Kriegskultur
Auch die Positionen der etablierten Kirchen unterlagen einem Wandel: Hatten sich angesichts der schweren politischen Spannungen im Europa des beginnenden 20. Jahrhunderts die britischen, deutschen und schließlich auch die US-amerikanischen Kirchen um Versöhnung und Ausgleich bemüht, so kreierten sie bereits unmittelbar nach Kriegsbeginn eine religiöse Kriegskultur, so Besier.  Als ein Beispiel verwies er auf den bekannten protestantischen Theologen und Professor an der Friedrich-Wilhelms-Universität,  Karl Gustav Adolf von Harnack. Bei Kriegsbeginn sprach Harnack von einem gerechten Krieg, einen bellum iustum: „Und wenn jetzt der Krieg mit ehernen Schritten entgegenkommt, wie nehmen wir ihn auf? Wir brauchen nur hinauszusehen auf die Straße! Ruhig, kräftig und jubelnd, weil ein unbestimmtes kräftiges Gefühl in jedem wallt, wenn einmal die Losung eines gerechten Krieges da ist!“.

„Gott mit uns!“
In jeder kriegsführenden Nation verbürgten sich die  Kirchen für den Sieg ihres eigenen Landes. Durch die feste Zusage des „Gott mit uns“ gaben die nationalen Kirchen der jeweiligen kriegsführenden Nationen das Gefühl, das auserwählte Volk  zu sein.

Für diese Zustimmung zum Krieg unter den Theologen führte Besier mentalitätsgeschichtliche Gründe an. „Der Krieg hat der weitaus schon erkalteten christlichen Botschaft erneute Geltung verschafft.“ Die Kirchen, insbesondere die protestantische, hätten in Deutschland im 19. Jahrhundert einen raschen Bedeutungsverlust erlebt, wachsende Säkularisierungsängste seien die Folge gewesen.

Kirchen gewannen wieder an öffentlicher Geltung
Besier stellte hier einen aktuellen Bezug zur soeben veröffentlichten 5. aktuellen Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) der Evangelischen Kirche in Deutschland her. Sie zeige, so der Theologe, insofern eine traurige Kontinuität. Die Kirchen seien seit dem 19. Jahrhundert einer permanenten Frustration ausgesetzt, indem sie immer wieder die Erfahrung der Irrelevanz machen müssten.

Vor diesem Hintergrund sei der Kriegsbeginn 1914 für die Kirchen zu einer „Sternstunde“ geworden, denn ihnen sei von Seiten der Politik und des Volkes die Rolle als einzig berufene Deuterin der Ereignisse zugebilligt worden. Gleichzeitig füllten sich die Kirchen wieder, weil die christlichen Traditionen für die Menschen sowohl Trost als auch Formeln zum Durchhalten und  zur Ermutigung bereithielten. „Opfer“ und „Opferfreudigkeit“ wurden neue Schlüsselworte der Theologen in Frankreich, in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie oder in Deutschland.  Die religiösen Äußerungen der Soldaten an der Front spiegeln zahlreiche dieser Formeln wider, doch: „Was die Soldaten wirklich glaubten, lässt sich nicht ausmachen.“

Kirche und Staat bildeten eine Einheit
Die nationale Erregung bei Kriegsbeginn, das „August-Erlebnis“, sei von den Kirchen als Erweckungs-Erlebnis uminterpretiert worden: „Nach schmerzlichen Marginalisierungserlebnissen erhoben die kirchlichen Institutionen in der Ausnahmesituation des Krieges umgehend den Anspruch auf eine autoritative Verstärkung und Deutung kollektiver Emotionen in der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft – nicht zuletzt, um dort wieder an öffentlicher Geltung zu gewinnen. Kirche und Staat bildeten eine Einheit. Nicht nur das Vaterland, Gott selbst fordere den Einsatz für das Vaterland, war ein oft zu hörender Satz.   Dies gelte, so Besier, sowohl für die protestantische als auch für die katholische Kirche in Deutschland. Denn die Katholiken sahen in der Kriegssituation die Chance, ihre Unterlegenheitsgefühle gegenüber der preußischen protestantischen Staatskirche zu überwinden, in dem sie ebenfalls das Bekenntnis „Wir sind Deutsche“ ablegten.

Die Niederlage 1918 führte zu einer schweren Erschütterung der Volkskirchen
Dass sich für Deutschland die religiös beglaubigten Verheißungen eines Sieges nicht erfüllten, habe zur Folge gehabt, dass die kirchlichen Akteure an Glaubwürdigkeit und Moralität verloren. Der Kriegsverlauf führte zu einer großen Distanz zwischen den Kirchenleitungen und ihren „Durchhalteparolen“ und dem Volk, das das Kriegsende wollte. Schon 1915 war die Zahl der Gottesdienstbesucher abnehmend, 1917 war sie unter das Vorkriegsniveau gefallen. Die Niederlage 1918 war für die Kirchen in Deutschland eine religiöse Katastrophe und führte zu einer schweren Erschütterung der Volkskirchen. „Die christliche Gesinnung wanderte aus den Kirchen aus“, so Besier. Die Kirchenaustrittsbewegungen in den 20er Jahren sei Antwort darauf gewesen. Die katholische Kirche habe allerdings  die Irrungen des Ersten Weltkrieges besser überwinden können, weil sie sich nach Kriegsende auf ihre Internationalität besann.

Insgesamt hätten aber, so Besier einschränkend, die beiden großen Kirchen nur einen schmalen Ausschnitt der Bevölkerung, vor allem das gehobene Bürgertum, repräsentiert. In Deutschland fehlte die dynamische Konkurrenz durch die Freikirchen, wie es sie z.B. in Großbritannien in großer Zahl gab.

Weitere Beiträge: Rolle der Kirchen in Belgien und im mittel- und osteuropäischen Raum
Neben dem Beitrag von Besier ging es in weiteren Beiträgen um den Ersten Weltkrieg und seinen Einfluss auf Belgien und die Protestanten (Pfarrer Dr. Guy Liagre, Generalsekretär der Konferenz Europäischer Kirchen) und die Rolle der Kirchen im mittel- und osteuropäischen Raum (Dr. László Levente Balogh, Universität Debrecen/Ungarn).
Die Tagung „100 Jahre Erster Weltkrieg“  wird in der Akademie-Reihe „Begegnungen“ dokumentiert.