Friedensethik und Rüstungsexporte gehen nicht zusammen – was können wir tun?

Rückblick zum Studientag in Bonn am 24. November 2018

Am Samstag, den 24. November 2018 begann in Bonn mit dem Studientag „Friedensethik und Rüstungsexporte passen nicht zusammen – was können wir tun?“ ein Konsultationsprozess, in dessen Rahmen das 2018 von der Landessynode verabschiedete Friedenswort nun in Kirchengemeinden, Kirchenkreisen und der Landeskirche diskutiert werden soll, um konkrete Handlungsempfehlungen zu entwickeln.

Die Landessynode hat das Friedenswort im Gedenken an das Ende des Ersten Weltkriegs 1918 verabschiedet. Es setzt sich eindringlich für gewaltfreie Lösungen ein. Gewaltfreie Lösungen sind keine Utopie, aber eine Herausforderung für alle Beteiligten, so die Verfasser. Sie fordern ein Umdenken, z. B. auf dem Sektor der Rüstungsindustrie. Christliche Friedensethik und Rüstungsexporte in Kriegs- und Krisenländer passen nicht zusammen. Sie werden von den Kirchen  als „Schmerzpunkte“ erlebt. Doch wie können die Kirchen, kirchliche Initiativen und Christinnen und Christen hier aktiv intervenieren?

Mit dieser Frage setzte sich am Samstag, 24. November 2018, ein gut besuchter Studientag in Bonn auseinander, zu dem die Evangelische Akademie im Rheinland und die Evangelische Kirche im Rheinland eingeladen hatten.

Überblick von Otfried Nassauer, BITS, zum Stand der Rüstungsexporte
Einleitend gab der Journalist und Friedensforscher Otfried Nassauer vom Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit e.V. (BITS) eine Übersicht über den aktuellen Stand deutscher Waffenexporte: „Deutsche Rüstungsindustrie und Rüstungsexporte, speziell in NRW

In seinem durch Statistiken und Graphiken illustrierten Zustandsbericht von Rüstungsexporten in deutscher Verantwortung machte der Leiter der Berliner Informationszentrale für Transatlantische Sicherheit BITS in Berlin zunächst darauf aufmerksam, dass auf dem Gebiet der rheinischen Landeskirche EKiR zahlreiche Firmenzentralen international agierender und vernetzter Industriekonzerne mit Rüstungsbetrieben angesiedelt sind. Dieses Gebiet sei allerdings nur teilweise mit dem von Nordrhein-Westfalen identisch, merkte er mit Seitenblick auf seinen Vortragstitel an:

Konzernzentralen blieben – Produktionsstätten gingen
Otfried Nassauer stellte die Konzernzentralen auf dem Gebiet der rheinischen Landeskirche vor: die Rheinmetall AG mit der Rüstungssparte „Rheinmetall Defence“ in Düsseldorf (und ihre Fertigungszentren in Oberndorf, Stockach und in der Schweiz), die Firmenzentrale der Thyssenkrupp AG in Essen (und deren Produktionsstätte Thyssenkrupp Marine Systems GmbH TKMS in Kiel), die Diehl Defence GmbH & Co.KG Nonnenweiler mit dem Werk Mariahütte, Dynamit Nobel GmbH in Leverkusen sowie den deutschen Standort von General Dynamics European Land Systems-Germany GDELS in Kaiserslautern.

Trotz des allgemeinen, unter dem Stichwort Konversion gefassten Strukturwandels ehemaliger Stahlgiganten in rüstungsindustriell geprägten Regionen Deutschlands von der Metallindustrie zur Dienstleistungs- und IT-Industrie in den Jahren seit dem Kalten Krieg ist Deutschland weltweit zu einem der größten Rüstungsexporteure geworden. Die aufgelaufene Summe deutscher Einzelexportgenehmigungen in fragliche Drittstaaten unter der aktuellen „GroKo 2“ und der derzeitigen Bundesregierung sei mit 14,18 Milliarden Euro so hoch wie nie zuvor. Otfried Nassauer stellte heraus, dass auch darüber hinaus generell – im Zeitraum von 1999 bis 2017 – unter den jeweiligen Regierungen der großen Koalitionen weite Sprünge in den Ausgaben nach oben zu verzeichnen waren. Schließlich kommen mit dem Jahr 2007 auf 2008 Rüstungsexportsteigerungen im Millionenbereich auch in die sog. MENA-Länder (Länder in Nahost und Nordafrika) vor.

Was können wir tun, was sollten wir verbessern?
Private Firmen mit Sitz im Ausland sind heute für die deutsche Rüstungsindustrie prägend, so Nassauer. Deshalb sollten sich die Forderungen nach weiteren Beschränkungen von Rüstungslieferungen und Waffen nicht nur an die Politik richten, sondern direkt auch an die deutsche Rüstungsindustrie, denn die ausländischen Firmen ihn ihren jeweiligen Konzernverbünden garantieren die hohen Gewinne. Gespräche der Kirchenleitung mit Vertretern der Industrie seien zwar schon geführt worden, man dürfe jedoch mit den Bemühungen auf keinen Fall nachlassen, beendete der Referent seinen informativen und aufrüttelnden Bericht.

Dr. Max Mutschler. Foto: Dorothea A. Zügner

Dr. Max Mutschler: Politisch-ethische Beurteilung von Rüstungsexporten
Im Anschluss daran setzte sich der Politikwissenschaftler Dr. Max Mutschler vom Bonn International Center for Conversion (BICC)  mit der politisch-ethischen Beurteilung von Rüstungsexporten auseinander. Einleitend wies er darauf hin, dass sich seine Einschätzung zur ethischen Beurteilung von Rüstungsexporten stark mit der Position des Rüstungsexportberichts der GKKE (Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung ), erstellt von deren Fachgruppe „Rüstungsexporte“, deckt. Die GKKE ist ein ökumenischer, evangelisch-katholischer Arbeitsverbund zur Entwicklungspolitik mit Sitz in Berlin.

Kriegswaffen sind keine Konsumgüter
Mutschler unterstrich, dass Rüstungsgüter und Kriegswaffen keine normalen Güter sind wie Autoreifen oder Gummibärchen, sondern Geräte, die mittel oder unmittelbar zu Verletzungen führen und den Tod von Menschen verursachen können. Die Integrität und die Freiheit des Menschen seien jedoch höchste Rechtsgüter und unterlägen dem Schutz der universalen Menschenrechte.

Rüstungsexporte – ein Dilemma für die Politik
Technische Errungenschaften können zum Wohl oder zum Wehe für Menschen eingesetzt werden. So auch Kriegsgerät und Munition. Die Frage der Beurteilung von Rüstungsexporten seien daher von einem prinzipiellen Dualismus gekennzeichnet, stellte er weiter fest: Einerseits könnten sie von Regierungen zu externer Aggression und zu interner Unterdrückung eingesetzt werden, andererseits spielten sie eine durchaus legitime Rolle im Rahmen staatlicher Sicherheitspolitik, z.B. zur Selbstverteidigung, Schutz oder Abwehr von Angreifern und Gefahren. Als Beispiele führte er die Bundeswehr, die Polizei oder externe Friedensmissionen an. Deshalb könne es eigentlich kein absolutes Verbot von Rüstungsexporten geben, sondern „nur“ eine besonders strenge Kontrolle. Sein vorläufiges Fazit: „Nicht Friedensethik und Rüstungsexporte gehen nicht zusammen, sondern Friedensethik und Rüstungsexporte gehen oft/in vielen Fällen nicht zusammen“.

Anspruch und Wirklichkeit bei deutschen Rüstungsexporten
Im Umgang mit Rüstungsexporten der deutschen Bundesregierung klaffen Anspruch und Wirklichkeit stark auseinander, so Mutschler weiter. Einerseits proklamiert die Politik, die Menschenrechte in den fragwürdigen Empfängerländern im Blick zu behalten und keine Waffen in Spannungsgebiete zu liefern, andererseits jedoch tut sie genau das Gegenteil. Als besonders eklatantes Beispiel führte er die fortgesetzte Belieferung Saudi-Arabiens mit Rüstungsgütern an – trotz des Jemen-Krieges, bei dem sich die von Saudi-Arabien angeführte Koalition eindeutig massiver Völkerrechtsverletzungen schuldig gemacht habe. Das Exportverbot nach dem Mord an dem Journalisten Jamal Kashoggi sei wohl nur ein Aufschub, man gehe danach möglicherweise einfach wieder zur Tagesordnung über.

Welche Empfehlungen gibt es für Politik?
Entschieden forderte Mutschler eine bessere Transparenz in der deutschen Rüstungsexportpolitik im Blick auf fragwürdige Drittstaaten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, erfahre die Öffentlichkeit nichts oder nur sehr wenig über die exportierten Rüstungsgüter, über genaue Stückzahlen, die tatsächlichen Empfänger und auch sehr wenig über die außen- und sicherheitspolitischen Interessen der Bundesregierung in diesen krisengeschüttelten Ländern. Zentral sei die Umkehr der Begründungspflicht, d.h. die Bundesregierung sollte den Export von Kriegs- und Kleinwaffen und deren Munition in fragwürdige Drittstaaten grundsätzlich ablehnen und die Ausnahmen im Bundestag begründen müssen. Die Vergabe von Lizenzen zur Produktion deutscher Rüstungsgüter in Drittstaaten sollte verboten werden. Schließlich empfahl Mutschler die Einsetzung einer Kommission zur Ausarbeitung eines Rüstungsexportgesetzes mit konkreten Vorschlägen für adäquate gesetzliche Neuerungen.

Am Nachmittag: Weiterarbeit und Vertiefung in den Arbeitsgruppen
Wie und welche weiteren Möglichkeiten des zivilen Engagements und des Handels mit zivilen Gütern anstelle von Rüstungs- oder Kriegswaffen existieren, davon konnten die Teilnehmer in den Arbeitsgruppen mit Senta Pineau vom Arbeitskreis Zivilklausel  und der Generalsekretärin der „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel “, Christine Hoffmann von pax christi oder der Vorsitzenden von IPNNW ICAN – International Campaign against nuclear weapons , Dr. Angelika Claußen erfahren.

Vizepräsident Dr. Johann Weusmann. Foto: Georg Andryk

Vizepräsident Dr. Weusmann: Eine Kirche, die zur Umkehr zum Leben aufruft, wird Position beziehen müssen
Den Einschätzung und Forderungen von Otfried Nassauer und Dr. Max Mutschler schloss sich Dr. Johann Weusmann , Vizepräsident der Evangelischen Kirche im Rheinland, in seinem Schluss-Statement  bei der Tagung an: „Was können und sollen wir tun?“

Die Demonstrationen der westdeutschen Friedensbewegung in den Jahren 1981 bis 1983 gegen das atomare Wettrüsten hätten ihn sehr geprägt, so Weusmann.  „Eine Kirche, die zur Umkehr zum Leben aufruft, wird in dieser Frage Position beziehen müssen. Fast wie ein Apell kommt mir da das biblische Motto der Friedensbewegung der DDR in den Sinn: „Schwerter zu Pflugscharen“ (Micha 4,3). Wir werden nicht schweigen können, wenn Waffen, die bei uns produziert werden, an anderen Orten dieser Welt in kriegerischen Auseinandersetzungen den Tod bringen.“

Ein Rüstungskontrollgesetz und internationale Lösungen sind unverzichtbar
Nach einem informativen Ausblick auf das bestehende deutsche Waffenexportrecht zog der Jurist daraus die Schlussfolgerung, dass endlich eine eindeutige Rechtsgrundlage mit einem eigenständigen Rüstungskontrollgesetz geschaffen werden müsse und dass für dessen Durchsetzung und gerichtliche Kontrolle gesorgt werden müsse. Nationale Lösungen könnten dabei nur ein erster Schritt sein. Letztlich seien Lösungen auf europäischer und internationaler Ebene unverzichtbar, so Weusmann.

Was kann die Gesellschaft, was können und sollen wir tun?
Im Blick auf gesellschaftliche Stimmungslage und politische Umsetzung stellte er eine eigentümliche Diskrepanz fest: „Trotz regelmäßig hoher Umfragewerte gegen Rüstungsexporte ist es in den vergangenen Jahren bei den politisch Verantwortlichen jedweder Couleur nicht gelungen, mehr Rechtsverbindlichkeit durchzusetzen. Auch lässt sich mit dem Thema Rüstungsexporte – anders als bei der Friedensbewegung der 80-er Jahre – keine Massenbewegung in Gang setzen. Deshalb stellt sich die Frage umso dringlicher, was die Kirchen in dieser Situation tun können.“

Berichte der GKKE sind eine unverzichtbare Arbeitshilfe für die Kirchen
Gerade die Fachgruppe Rüstungsexporte der GKKE leiste mit ihrem wissenschaftlich fundierten Rüstungsexportbericht hier bereits einen wichtigen Beitrag. Diese Berichte erreichen in der Öffentlichkeit, in der politischen Debatte und in Fachkreisen eine bemerkenswerte Resonanz und sie bilden eine unverzichtbare Voraussetzung für konkrete Kampagnen.

Berichte über Einzelschicksale können das Leid vor Augen führen
Doch es entstehe der Eindruck, dass diese sachlichen Informationen nicht immer ausreichend wären. Mit „Storytelling“ in jedweder Form über Einzelschicksale, zum Beispiel über die mehr als 250.000 Kindersoldaten, könnten noch viel mehr Menschen aus Politik und Gesellschaft auch auf der emotionalen Ebene wachgerüttelt werden, so Weusmann. „Mit unseren ökumenischen Netzwerken haben wir unmittelbaren Zugang zu den relevanten Geschichten und können sie verbreiten. Es muss darum gehen, die Bürger und Bürgerinnen dieses Landes und auch die Politikerinnen und Politiker neben der rationalen auch auf der emotionalen Ebene zu erreichen. Denn die Zeit ist da für ein Nein ohne jedes Ja zu Rüstungsexporten in Kriegs- und Krisengebieten.“ So der abschließende Appell des Vizepräsidenten an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung.

Dokumentation:

Die Referate des Studientages sind in der Reihe epd-Dokumentation als Heft Nr. 9/2019 veröffentlicht worden:

„Friedensethik und Rüstungsexporte gehen nicht zusammen – was können wir tun?“
Beiträge vom Studientag der Evangelischen Kirche im Rheinland am 24. November 2018 in Bonn

Das Heft kann zum Preis von 5,60 Euro  (zzgl. 2,50 Euro Versandkostenpauschale) beim Gemeinschaftswerk für Publizistik bezogen werden. Zur Bestellung

Interviews mit

  • Dr. Johannes Weusmann, Vizepräsident der Evangelischen Kirche im Rheinland
  • Otfried Nassauer, Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit e.V. (BITS)
  • Dr. Max Mutschler Bonn International Center for Conversion (BICC)

stehen auf dem  YouTube-Kanal der Akademie in der Playlist „Friedensethik“ zum Abruf bereit.
Zur Playlist „Friedensethik“ 

Zum ausführlichen Programm der Tagung.