Muslimische Stimmen gegen den muslimischen Extremismus

Rückblick auf die Tagung „Reformation und Islam“

Zum 500-jährigen Reformationsjubiläum veranstaltete das Muslimische Forum Deutschland mit freundlicher Unterstützung der Evangelischen Akademie im Rheinland und der Konrad-Adenauer-Stiftung  den Expertenworkshop „Islam und Reformation: Muslimische Stimmen gegen den muslimischen Extremismus“.

Wir veröffentlichen hier den Bericht unseres Kooperationspartner Aladdin Sarhan, Leiter des Arbeitskreises „Gesellschaftlicher Friede und innere Sicherheit in Deutschland: Muslime und Nichtmuslime im Dialog“ des Muslimischen Forums Deutschland zu den Ergebnissen des Workshops:

Ich möchte allen Teilnehmenden für die höchst engagierte und horizonterweiternde Debatte recht herzlich danken. Mein großer Dank gilt Jörgen Klußmann, Hella Blum und Martina Steffen (EAiR) sowie Dr. Christian Koecke (KAS NRW) für die selbstlose Unterstützung und die vorzügliche Gastfreundschaft.

Der Expertenworkshop gilt als das praktische Ergebnis und der Abschluss der einjährigen Veranstaltungsreihe „Islam und Reformation. Ein inner- und interreligiöser Dialog über Glaube, Pluralismus und Zukunft des Zusammenlebens“.

Mit 26 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis verständigte sich der Arbeitskreis über den Rahmen für die Konzeption einer Internetplattform und einer dazugehörigen App für muslimische Jugendliche in Deutschland. Dieses mittelfristig angelegte Vorhaben zielt darauf ab, den muslimischen Jugendlichen eine unbevormundete islamische Theologie zu vermitteln, die mit unserer freiheitlichen-demokratischen Grundordnung und der Lebenswirklichkeit in Deutschland im Einklang steht. Zudem möchte der Arbeitskreis mit dem Projektvorhaben die muslimischen Jugendlichen für die Demokratie gewinnen und sie über jene Gefahren, die von extremistischen Ideologien ausgehen, aufklären. Weiterhin soll die Internetplattform gegen die islamistische Radikalisierung sensibilisieren und Ausstiegsmöglichkeiten aus dem Islamismus aufzeigen.“

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Aladdin Sarhan.

Arbeitsatmosphäre. E. Jakob, J. Klußmann, M. Khorchide und A. Mansour (v.l.n.r.). Foto: Aladdin Sarhan

Hintergrund

Mit dem Verlust seiner eroberten Territorien in Syrien und dem Irak transformiert sich der sog. Islamische Staat (IS) von einem physischen zu einem virtuellen Kalifat. IS-Propagandisten und andere Islamisten erheben den Anspruch, Muslime nicht nur religiös und politisch zu vertreten. Vielmehr wetteifern sie um die Definitionshoheit über zentrale Begriffe und Geschichte des Islam. Sie überbieten sich gegenseitig in ihrer Radikalität und leiten aus ihren hassbeladenen Narrativen Handlungsmaximen ab. Letztere stehen weitestgehend in einem diametralen Widerspruch zu den Errungenschaften der Aufklärung und haben verheerende Folgen für das Zusammenleben von Muslimen und Nicht-Muslimen in einer pluralen Gesellschaft.

Neue Konzepte im Verhältnis von religiös und weltlich müssen im Islam gewagt werden
Die Mehrheit der Muslime leidet unter jener extremistischen Auslegung ihrer Religion durch eine radikale Minderheit. Die von Islamisten vertretende menschenverachtende Ideologie macht die Mehrheit der Muslime unfreiwillig zum Opfer von sowohl islamfeindlicher Rechtspopulisten als auch extremistisch denkender Muslime. Die daraus resultierenden Konflikte drängen geradezu danach, neue Konzepte und Kompromisse im Verhältnis zwischen „religiös“ und „weltlich“ im Islam zu wagen. Dazu bedarf es humanistisch geprägter theologischer Zugänge. Wenn mit „Reformation im Islam“ die Schaffung dieser humanistisch geprägten theologischen Zugänge gemeint ist, so ist dieser Prozess insofern von immenser Bedeutung, als dass damit Phänomene wie dem „Islamismus“ sowie seiner Spielarten „Salafismus“ und „Jihadismus“ entzaubert werden kann.

Neue Internetangebote als eine Möglichkeit, eine reformierte Deutung des Islam in die Öffentlichkeit zu tragen
Mit Hilfe des Internets ködern Islamisten, und insbesondere Jihadisten weltweit junge Menschen und missbrauchen deren spirituelle und weltliche Bedürfnisse, indem sie Ihnen vormachen, von Gott auserwählt zu sein. Sie bieten ihnen Anerkennung, Bedeutung und versprechen ihnen das Paradies, wenn sie bereit sind dafür zu töten oder getötet zu werden. Auf diese Weise werden sie für Aktionen der Barbarei instrumentalisiert. Die Islamisten sind mit ihrer Propaganda im Internet so weit aufgestellt, dass mehr propagandistische und radikale Informationen über den Islam kursieren als solche, die über einen weltoffenen Islam aufklären. Deswegen bedarf es dringend eines neuen zielgruppengerechten Angebots im Netz. So wie Martin Luther (1483-1546) damals den Buchdruck nutzte, um die Gedanken der Reformation in alle Welt zu bringen, müssen reformierte und aufgeklärte Muslime das Internet nutzen, um die Deutungshoheit über ihre eigene Religion zurückzugewinnen.

In der Diskussion. M. Kreutz und Prof. Rüsen (v.l.n.r.). Foto: Aladdin Sarhan

Erste Überlegungen zum Konzept des Internet-Angebotes
Der Erfolg der Reformation basierte auf der Verwendung einer volksnahen Sprache. So sollten islamisch-theologische Narrative auch in eine moderne und verständliche Sprache übertragen werden. Hierzu sollen eine Internetplattform und eine dazugehörige App entstehen. Die Internetplattform soll neben kurzen und gut verständlichen Informationen auch Aktionen zum Mitmachen und zum Austausch bieten, so dass Jugendliche direkt und unkompliziert angesprochen werden. Darüber hinaus sollen bereits existierende Angebote, die über den Islam aufklären und die Unterschiede zum Islamismus verdeutlichen, miteinander vernetzt werden, um dadurch Synergien im Dienste des gesellschaftlichen Friedens zu