Sozialexperte: Zuwanderung von Roma politisch nicht hochkochen

epd-Landesdienst West, 11.11.2013

Wissenschaftler fordert Hilfen zur Integration

Bonn (epd). Der Düsseldorfer Sozialpädagoge und Erziehungswissenschaftler Thomas Münch hat sich für eine entspannte Reaktion auf die steigende Zahl von einreisenden Roma aus Osteuropa ausgesprochen. „Es handelt sich hier in vielen deutschen Städten mitnichten um Elendsmigration, sondern um eine klassische Arbeitsmigration innerhalb der EU“, sagte Münch am Wochenende auf einer Tagung der Evangelischen Akademie im Rheinland in Bonn.

Im Jahr 2012 seien bundesweit insgesamt 71.000 Menschen aus beiden EU- Staaten zugereist, sagte der Wissenschaftler der Fachhochschule Düsseldorf. Die Prognose für 2014, wenn die Arbeitnehmerfreizügigkeit auch für Bürger dieser EU-Staaten gelte, gehe von 100.000 bis zu 180.000 Menschen aus.

Als Leiter des Forschungsschwerpunktes Wohlfahrtsverbände habe er eine aktuelle Studie über die rumänischen und bulgarischen Zuwanderer in Köln erarbeitet, die viele Vorurteile widerlege, sagte Münch. Befragt wurden 120 Roma, die derzeit täglich Kölner Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe nutzten. Die meisten seien alleinstehende Männer und einige Frauen. Das Gros der neuen Kölner Roma sei also nicht in Familienclans angereist. Viele könnten eine Ausbildung in handwerklichen Berufen vorweisen.

Über 90 Prozent hätten keinen Anspruch auf staatliche Sozialleistungen, unterstrich der Sozialexperte. Die meisten dieser Menschen gäben aber an, dass sie in Deutschland bleiben und arbeiten wollten. „Es handelt sich also um Wanderarbeiterschaft“, sagte Münch, der von 1994 bis 2004 Sprecher der Kölner Armutskonferenz war.

Andererseits fänden die zugereisten Roma hier äußerst prekäre Lebensumstände vor, gab der Wissenschaftler zu bedenken. 69 Prozent seien wohnungslos, 97 Prozent nicht krankenversichert, zudem beherrsche auch fast keiner die deutsche Sprache. „Auf der Straße geht es natürlich seit ihrem Kommen hart zur Sache. Es gibt Revierkämpfe, also einen Verteilungskampf mit den deutschen Wohnungslosen“, sagte Münch.

In den sozialen Einrichtungen sei man jedoch weder sprachlich noch mit interkulturellem Know-how auf die Rumänen und Bulgaren vorbereitet. „Es scheint  so, dass  sich  weder  die Politik  noch  die Wohlfahrtsverbände  für diese Gruppe interessieren.  Spätestens im Dezember und Januar sollten aber Angebote neu geschaffen werden, damit diese Menschen den Winter überleben.“

Nötig sei auch die schnelle Einrichtung von sprachlicher und lebensunterstützender Hilfe, damit sich die Zuwanderer integrieren könnten. 77 Prozent der von der Fachhochschule Düsseldorf befragten Zugereisten aus Rumänien und Bulgarien hätten angegeben, diese Angebote nutzen und sich integrieren zu wollen, so Münch. „Wir sollten ihnen dafür Zeit lassen und ihre Fähigkeiten nicht unterschätzen. Und wir sollten vor allem das Thema nicht politisch hochkochen.“

Robert Rustem, Generalsekretär des European Roma and Travellers Forum, wies auf der Tagung darauf hin, dass Roma in den EU-Ländern Ungarn, Bulgarien, Rumänien, aber auch in Serbien und Mazedonien als meist unerwünschte  Minderheit leben und in einigen Staaten auch diskriminiert werden. Grundlegend für die Integration einer Minderheit in jedem Staat seien befriedigende Verhältnisse in den Bereichen Arbeit, Wohnen, Bildung und Gesundheit. Alles das sei für die meisten Roma nicht gegeben, so dass ihre Lebenserwartung bis zu 15 Jahren unter der der Mehrheitsbevölkerung liege.

„Die Lebensbedingungen sind in den meisten dieser Staaten so schlecht, dass 40 Prozent der Roma permanent Hunger leiden und dass die Kindersterblichkeit um ein Vielfaches höher ist als bei den anderen Bürgern“, sagte Rustem.

Quelle: Evangelischer Pressedienst (epd) West , 30.1.2012

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