Tagungsrückblick: Konfliktregion Golfstaaten

Erdöl, Islam und Modernisierung als wesentliche Einflussfaktoren

Am 24./25. April 2015 standen die Golfstaaten, weltweit wichtigster Lieferant von Erdöl und Erdgas, aber auch politisches Pulverfass und eine Region zwischen Tradition und Moderne, im Mittelpunkt einer Tagung. Jörgen Klußmann stellt die Ergebnisse vor.

Konfliktregion Golfstaaten © freshidea – Fotolia.com

Die Golfstaaten stehen vor einer riesigen Herausforderung. Einerseits müssen sie die Transformation einer traditionellen, teilweise noch feudalen Gesellschaft in die Moderne bewältigen und andererseits müssen sie sich darauf vorbereiten, ihre prosperierenden Volkswirtschaften, die auf dem Erdölreichtum beruhen, zu diversifizieren. Hinzu kommen die in der Region immer wieder aufflammenden Konflikte, die viele hunder ttausende Tote und Verletze gekostet haben aber auch ganze Staaten zerbrechen lassen wie den Irak und zuletzt den Jemen.

Die Rivalität zwischen Schiiten und Sunniten ist eine wesentliche Ursache der Konflikte
Ein wesentlicher Antriebsmotor für die meisten dieser Konflikte ist die seit mehr fast 1400 Jahren bestehende Rivalität zwischen Schiiten und Sunniten, den beiden größten Konfessionen innerhalb des Islam, wie die Bonner Islamwissenschaftlerin Prof. Dr. Christine Schirrmacher berichtete.

Während das Islamische Königreich Saudi Arabien mit seiner sehr strengen wahhabitischen Version des sunnitischen Islam den Anspruch erhebt, den einzig wahren Islam zu repräsentieren, vertritt die Islamische Republik Iran die schiitische Seite. Der Glaubenskampf geht zurück auf die Frage nach der geeigneten Nachfolge des Propheten Mohammad, die nach seinem Tode im Jahre 632 n. Chr. aufkam. Bei den Sunniten bildete sich das Kalifat als Form der Nachfolge Mohammads heraus, bei den Schiiten das Imamat. Infolge des Schismas bildeten sich unterschiedliche theologische Ansätze sowie im Schiismus auch ein eigener Klerus heraus, den es im sunnitischen Islam nicht gibt.

Für die saudi-arabischen, wahhabitischen Gelehrten sind die Schiiten im Ungläubige, die bekämpft werden müssen, wogegen der schiitische Klerus seine islamische Revolution, mit der Ayatollah Khomenie sich an die Macht putschte, exportieren möchte, so, z.B. in den Libanon oder wie nun in den Jemen. Auch der Bürgerkrieg in Syrien, das jedoch nicht zu den Golfstaaten gehört, steht ganz im Zeichen dieser Rivalität. Es liegt auf der Hand, dass der Ölreichtum hier die notwendigen Mittel zur Verfügung stellt, um das entsprechende Waffenarsenal kaufen zu können.

Kingdom Tower, Wolkenkratzer in Dschidda, Saudi-Arabien © swisshippo – Fotolia.com

Die Industriestaaten haben ein strategisches Interesse an der Region
Hier spielen die Industriestaaten, inklusive Deutschland eine unrühmliche Rolle, in dem sie die Region mit Waffen beliefern. Doch sie haben auch ein strategisches Interesse an der Region, das ebenfalls mit dem Öl zusammen hängt: In der Golfregion liegen die größte Reserven an Erdöl und Erdgas. Während die Quellen in anderen Regionen in den nächsten Jahrzehnten versiegen werden, werden die Quellen am Persischen Golf vermutlich noch rund hundert Jahre sprudeln. Doch das ist keine Garantie für eine dauerhafte wirtschaftliche Entwicklung und andauernden Wohlstand – im Gegenteil.

Aufgrund der immensen Einnahmen sind heute alle Golfstaaten „Rentierstaaten“
Wie Studienleiter Jörgen Klußmann in einem Vortrag über die Abhängigkeit vom Erdöl hervor hob, sind die Golfstaaten, die über fossile Energieträger verfügen, allesamt „Rentierstaaten“, d.h. sie alimentieren ihre Bürger kraft der immensen Einnahmen mit umfangreichen Sozialleistungen, wie z.B. durch kostenlose Bildungseinrichtungen und Gesundheitsversorgung, zinsfreien Krediten und attraktiven Gehältern sowie großzügigen Urlaubsregelungen.

Die Gesellschaft ist jung, das Durchschnittsalter liegt bei 25,3 Jahren
All dies hat zu einem enormen Bevölkerungsanstieg geführt. So ist die z.B. saudische Gesellschaft eine der jüngsten der Welt. Zwar hat sich die Geburtenrate inzwischen deutlich reduziert, dennoch liegt das Durchschnittsalter bei 25,3 Jahren. Zwischen 1950 und 2013 wuchs die Bevölkerung von 3,2 Millionen auf knapp 28 Millionen, von denen allerdings 32,4 Prozent ausländischer Herkunft sind. Dieser Teil der Bevölkerung ist jedoch von den Privilegien ausgeschlossen.

Foto: © Jasmin Merdan – Fotolia.com

Arbeitsmigranten stellen bis zu 80 Prozent der Bevölkerung
Die Leiterin des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt an der Johannes-Gutenberg Universität Mainz, Dr. Nadine Scharfenort , befasste sich mit der Arbeitsmigration in den Golfstaaten. Die Arbeitsmigranten bilden in fast allen Golfstaaten einen großen Bevölkerungsanteil – in manchen Staaten bis zu 80%. Die Probleme, die daraus entstehen, sind mannigfaltig.

Zwischen den Arbeitsmigranten und den Einheimischen gibt es ein großes soziales Ungleichgewicht
Anders aber als in z.B. innerhalb der Europäischen Union, sind die ausländischen Arbeitskräfte in den Golfstaaten extrem rechtlos. Nach Beendigung ihres Arbeitsvertrages müssen sie das Land verlassen und haben keinen Anspruch auf eine Rente. Die Wohngebiete von Ausländern und Einheimischen sind getrennt und auch sonst kommt es so gut wie nie zu einer Begegnung. Denn die Einheimischen bevorzugen es im Staatsdienst zu arbeiten, der weitaus besser entlohnt ist als Jobs im Privatsektor. Während im öffentlichen Dienst z.B. in Saudi Arabien saudische Staatsangehörige 95 Prozent der Belegschaft stellen, liegt ihr Anteil im Privatsektor bei nur etwa 13 Prozent. Ein weiterer Grund hierfür ist aber auch, dass die privaten Arbeitgeber vor allem die niedrige Arbeitsmotivation und die mangelhafte Ausbildung saudischer Bewerberinnen und Bewerber kritisieren und lieber ausländische Arbeitskräfte einstellen. Das sieht in den anderen Staaten nicht anders aus.

Doch das System der Rentenökonomie gerät ins Wanken
Doch das System der Rentenökonomie gerät zusehends ins Wanken:
Für den Staat wird es immer schwieriger, ausreichend Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor zur Verfügung zu stellen. Jährlich strömen allein in Saudi-Arabien 100.000 Schulabgängerinnen und -abgänger sowie 40.000 Universitätsabsolventen auf den Arbeitsmarkt. 2013 lag die Arbeitslosigkeit offiziell bei 12,7 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit gar bei 29,2 Prozent, denn auch die einheimischen Arbeitslosen werden großzügig unterstützt.

Die Folge:
Auch in der einheimischen Bevölkerung nehmen soziale Spannungen zu –
Nährboden für Radikalismus und Fanatismus

So fällt es den jungen Arbeitssuchenden schwer, sich von der traditionellen Mudir-Mentalität (Mudir = Direktor) zu verabschieden, die davon ausgeht, dass jeder Saudi Anspruch auf eine lukrativen Direktionsposten hat. Dies wirkt sich wiederum auf den sozialen Status junger Männer aus: Wer keine Anstellung beim Staat findet, verliert an gesellschaftlichem Ansehen. In den patriarchalen Gesellschaften Arabiens wird von Ehemännern und Vätern erwartet, die Familie angemessen ernähren zu können. Dass immer mehr Männer diese ihnen traditionell zugewiesene Funktion nicht mehr ausüben können, führt zu Frustration, steigenden Selbstmordraten und Depressionen. Mittlerweile sind Drogensucht und Alkoholkonsum – sozial, religiös und rechtlich strikt verboten – zu ernsten Problemen geworden. Dies ist auch ein Nährboden für Radikalismus und Fanatismus.

Der Reichtum konzentriert sich heute auf wenige Familien
Auch wenn der neue saudische König Salman zu seiner Inthronisierung allen Staatsbürgern zwei Monatsgehälter und allen ehemaligen Beamten zwei Monatsrenten geschenkt hat – geschätzte Kosten des Geschenks: 32 Milliarden U-Dollar – so wächst die Unzufriedenheit. Mit der Alimentierung der Staatsbürger wurden und werden die Kritiker gekauft und ruhig gehalten. Doch wie lange kann dies gut gehen?

Mit der steigenden Arbeitslosigkeit und der reduzierten Alimentierung hat sich auch das Wohlstandsgefälle vergrößert. Während Armut zu einem sozialen Problem geworden ist, konzentriert sich der Reichtum auf wenige Familie, die meist auch in engem Kontakt zu den Herrscherhäusern stehen oder ihnen angehören.

Dr. Wifried Buchta referierte über die Golfkriege und die aktuellen Konflikte. Foto: H.Blum

Durch das Bevölkerungswachstum ist auch der Energieverbrauch extrem angestiegen
Daneben existiert das Problem der enorm gestiegenen Energiekosten, die in den Golfstaaten anfallen. Mit dem Bevölkerungswachstum ist auch der Eigenverbrauch extrem gestiegen, so dass die meisten Länder inzwischen rund ein Drittel ihrer eigenen Erdölreserven selbst verbrauchen. Kein Wunder bei einem Benzinpreis von etwa 15 US-Cent pro Liter! Daran hat auch der stark gefallene Ölpreis nichts geändert. Die meisten Erdöl fördernden Länder am Golf müssen einen Ölpreis von 80-90 US-Dollar pro Barrel erwirtschaften, um einen ausgeglichenen Staatshaushalt zu erreichen. Das ist deswegen so wichtig, weil sie nach wie vor zum allergrößten Teil von den Öleinnahmen abhängig sind. Derzeit schließt Saudi-Arabien sein 40 Milliarden. US-Dollar schweres Haushaltsdefizit mit Mitteln aus den Rücklagen. Die saudische Zentralbank hat mehr als 700 Milliarden US-Dollar auf der hohen Kante, die in besseren Zeiten verdient wurden.

Der Irak ist aktuell in der Golfregion der Staat mit den größten Problemen
Kein Land hat jedoch derzeit so stark zu kämpfen wie der Irak, wie der Orientalist Dr. Wilfried Buchta , der für die UN im Irak arbeitete, deutlich machte. Er hat vor wenigen Wochen zu diesem Themenkomplex eine neue Untersuchung publiziert – „Terror vor Europas Toren. Der Islamische Staat, Iraks Zerfall und Amerikas Ohnmacht“.

Ende der 70er Jahre stand der Irak auf der Schwelle zum Industriestaat
Ende der 70er Jahre stand der Irak kurz davor, die Schwelle zum Industriestaat zu überschreiten. Ohne Not überfiel der damalige Machthaber Saddam Hussein 1980 seinen Nachbarn Iran und verschleuderte so die Ressourcen seines Landes. Nach dem Ende des Krieges 1988 gab es keinen Gewinner und der Irak war pleite. Aus diesem Grunde überfiel er 1990 Kuwait, um sich dessen Einnahmen aus dem Erdöl zu sichern. Doch schon 1991 vertrieb ihn eine internationale Koalition unter Führung der USA dort wieder – doch Saddam Hussein blieb im Amt. Der letzte Golfkrieg 2003 konnte den verhassten Diktator schließlich zwar vertreiben, doch führte er zu keinen stabilen Verhältnissen im Lande.

Seit den 80er Jahren ist der Irak ein instabiles und von Konflikten bestimmtes Land
Der vollkommen unerfahrene für die Zivilverwaltung eingesetzte Paul Bremer zerstörte die bis dahin in der Baath-Partei verankerte Verwaltung und entließ alle Personen, die mit dem bisherigen Machthaber Saddam Hussein in Verbindung gebracht wurden und setzte auf Exilanten. In der Folge zettelten die ehemaligen Mitglieder der irakischen Streitkräfte und die ehemaligen Beamten einen Aufstand an, der die USA mehr Tote kostete als die eigentliche Invasion. Nach dem Abzug der Amerikaner und dem Scheitern einer Allparteien-Regierung haben sich die Gegensätze zwischen den Schiiten und Sunniten im Lande vertieft. In dieses Machtvakuum stieß der so genannte islamische Staat, ein Konglomerat aus ehemaligen Al-Kaida-Kämpfern und ehemaligen Mitgliedern der irakischen Streitkräfte, der inzwischen die Hälfte des Iraks kontrolliert und einen großen Teil Syriens dazu. Inzwischen kämpfen auch die USA und ihre Verbündeten wieder in der Region. Zwar beschränken sie sich auf Luftschläge. Doch auch in Zukunft wird die Region die Industriestaaten beschäftigen – Ausgang ungewiss.