Afghanistan: Den Schmerz des Anderen sehen

25.1.2010

joergenklussmann

Rückblick: Buchmesse in Leipzig Chancen systemischer Konfliktlösung bei ethnischen, sozialen oder religiösen Konflikten. Im Jahr 2010 berichtete Jörgen Klußmann auf der Leipziger Buchmesse über seine Erfährungen ...

Rückblick: Buchmesse in Leipzig

Chancen systemischer Konfliktlösung bei ethnischen, sozialen oder religiösen Konflikten. Im Jahr 2010 berichtete Jörgen Klußmann auf der Leipziger Buchmesse über seine Erfährungen in Afghanistan und weiteren Krisenregionen.

© DELLI-PIZZI – Fotolia.com

In Konflikten häufig nicht genug beachtet: die Gefühle

Gefühle wie Angst, Ohnmacht, Entsetzen oder Trauer, Scham, Schmerz, Wut und Hass, aber auch Erleichterung, Versöhnung und Zuversicht bestimmen in Konflikten die Gemütslage von Einzelpersonen bis hin zu Bevölkerungsgruppen. Die gängigen modernen Methoden der Konfliktbearbeitung offenbaren leider einen Mangel an Aufmerksamkeit gegenüber diesen Emotionen. Deshalb lassen sich viele Konflikte nur schwer und häufig nicht dauerhaft lösen.

Zu dieser Einsicht kamen Marco de Carvalho, Arzt für Psychosomatik in Bad Zwischenahn, und sein Teampartner Jörgen Klußmann, Studienleiter an der Evangelischen Akademie im Rheinland in Bonn und Konflikttrainer.

Innovatives Konzept knüpft an de Erkenntnisse der systemischen Beratung an und gesteht auch Gefühlen ihren Raum zu

Das gab den Anstoß, dass beide gemeinsam ein eigenes, innovatives Konzept zur Konfliktbearbeitung entwickelten. Dabei knüpften sie an die Erkenntnisse der systemischen Beratung und Therapie an, die bei der Lösung von familiären Konflikten bereits seit längerem angewandt wird.
Im Auftrag der Friedrich Ebert Stiftung haben sie ihr Konzept bereits in verschiedenen Krisenregionen, in Nepal, Indonesien, Sri Lanka und seit  drei Jahren auch in Afghanistan praktisch umgesetzt. An ihren Trainings nehmen Journalisten ebenso teil wie Mitarbeiter sozialer und politischer Gruppen – Menschen, die an den Schaltstellen der Konflikte sitzen.

Eine Gemeinde in Afghanistan – ein Beispiel aus der Arbeit

Wie sehr die Anerkennung von Gefühlen bei der Lösung von Konflikten helfen kann, belegen sie mit einem Beispiel aus ihrer Arbeit: In Afghanistan arbeiteten sie für eine Gemeinde, in der sich die zwei größten Volksgruppen des Landes, Tadschiken und Paschtunen, unversöhnlich gegenüber standen. Während des Taliban-Regimes waren dort vor allem Tadschiken getötet, vergewaltigt oder beraubt worden. Später kam es zwischen ihnen immer wieder zu aggressiven Auseinandersetzungen um Ländereien und Wasser.
Carvalho und Klußmann ließen die Konfliktsituation in einer Systemaufstellung nachstellen. Dabei baten sie darum, auch die toten Opfer zu berücksichtigen. Indem Leid und Schmerz so für alle Beteiligten visuell erlebbar wurden, war es möglich, den Schmerz der anderen anzuerkennen und sich symbolisch vor den Opfern zu verneigen. Eine große Erleichterung und Bereitschaft zur Versöhnung war bei den vorher verfeindeten Gruppen zu spüren, so die beiden Therapeuten.

Jetzt erschienen: eine Dokumentation der Arbeit von Jörgen Klußmann und Marco des Carvalho

Die Arbeit von Carvalho und Klußmann wurde jetzt in einer Veröffentlichung der Friedrich-Ebert-Stiftung einer größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht:

Marco de Carvalho, Jörgen Klußmann, Bahram Rahman:
Konfliktbearbeitung in Afghanistan.
Die Systemische Konflikttransformation im praktischen Einsatz bei einem Großgruppenkonflikt
Herausgeber: Referat Asien und Pazifik, Friedrich-Ebert-Stiftung, Hiroshimastraße 28, 10785 Berlin,
Januar 2010, ISBN 978-3-86872-255-0
Copyright: Friedrich-Ebert-Stiftung

Die Dokumentation ist kostenlos bei der Friedrich-Ebert-Stiftung erhältlich:
Referat Asien und Pazifik, Friedrich-Ebert-Stiftung, Hiroshimastr. 28, 10785 Berlin

Das Buch ist dort auch als Download abrufbar.

Im Rahmen von „Leipzig liest“ berichteten Jörgen Klußmann und Marco de Carvalho am Donnerstag, 18. März 2010 über ihre Arbeit.

Die Lesung machte bekannt mit Buch und Konzept. Sie gab Gelegenheit, mit den beiden Therapeuten ins Gespräch zu kommen und mehr über ihre praktische Arbeit und ihre Erfahrungen in der Krisenregion Afghanistan zu erfahren.

Zur Person:

Jörgen Klußmann:
geb. 1962. Studium der Afrikanistik, Islamwissenschaft und Politologie. Arbeitete als freier Journalist für Deutschlandfunk und Deutsche Welle, u. a. in Afrika und Asien. Seit 2004 Studienleiter an der Evangelischen Akademie im Rheinland mit dem Schwerpunkt Politik und Friedens- und Konfliktforschung. Ausbildung in Systemischer Beratung und Therapie. Mehr Informationen

Marco de Carvalho:
geb. 1961. Deutsch-Brasilianer, Arzt (Allgemeinmedizin, Chirurgie, Ethnomedizin);  Arzt für Weiterbildung Psychotherapie in der Privat-Klinik Bad Zwischenahn, Klinik für Psychotherapeutische Medizin und Psychosomatik. Ausbildung in Systemischer Beratung und Therapie, seit 2000 systemischer Berater

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