Fremd - Vertraut: Tolerant und empathisch denken und handeln

Themenschwerpunkt: Politik des Dialogs & der Vielfalt

Das Zusammenrücken der Menschen auf einem gefühlt immer kleiner werdenden Planeten stellt Konzepte von Nationalstaatkultureller und religiöser Identität und internationaler Zusammenarbeit in Frage.
Ein Diskurs über Gemeinsamkeiten und Unterschiede unserer jeweiligen Vorstellungen ist ebenso notwendig wie die Suche nach Antworten auf die Frage nach einer gemeinsamen Verantwortung. Die Menschheit und mit ihr der ganze Planet und die Welt, wie wir kennen stehen an der Schwelle einer neuen Entwicklungsphase, in der sich entscheidet, ob es eine Zukunft geben kann. Die Akademie wird im kommenden Jahr 2022 Nachhaltigkeit in den Fokus aller Themenbereiche richten.

Mehr als 500 Jahre hatte Europa weite Teile der Welt kolonialisiert und unter seine Herrschaft gebracht. Nach der nunmehr seit rund 70 Jahren währenden Unabhängigkeit der meisten, der ehemaligen Kolonien hat der Westen an Bedeutung verloren. Neue Mächte wie China, Russland und die neuen Schwellenländer Indien, Brasilien, Indonesien und Südkorea u.a. haben das Vakuum gefüllt, doch haben auch sie nicht eine global gerechtere Welt schaffen können.

Das Scheitern der westlichen Interventionspolitik und das erneute Erstarken einer rechten bis rechtsextremen politischen Kraft und eines neuen globalen Nationalismus haben die Vorbildfunktion des westlichen Modells des demokratischen Rechtsstaats geschwächt. Afghanistan als ein Kulminationspunkt westlicher Interventionspolitik ist wieder in die Hände der radikal-islamistischen Bewegung der Taliban gegangen, die von Pakistan aus mit saudischen und amerikanischen Geldern in den 90er Jahren entlang der Grenze zu Afghanistan aufgebaut wurde. Dort hatte auch der Kopf des salafistischen-extremistischen Netzwerks al-Qaida, Osama bin Laden, ein Saudi, in den 80er Jahren im Kampf gegen die Sowjets noch US-Unterstützung erhalten. 2001 war es derselbe Osama bin Laden, der mit den Attentaten vom 11. September diese USA bestrafen wollte, weil diese Truppen auf „heiligen“ saudischen Boden stationiert hatten, um während des ersten Golfkrieges gegen Saddam Hussein zu kämpfen, weil dieser in Kuwait einmarschiert war.

Der aus dem 11. September 01 resultierende „Krieg gegen den Terror“ hat überall auf der Welt zu einer Verschärfung der Sicherheitsgesetze und einer Zunahme von Feindbildern geführt. Die größte Macht des Westens, die USA sind politisch gespalten und außenpolitisch geschwächt. Auch in Europa und der EU gibt es zunehmend nationalistische Tendenzen. Der Austritt Großbritanniens aus der EU, sowie die nationalen und autoritären Einzelgänge Ungarns und Polens haben die Idee eines geeinten, friedlichen Europas beschädigt und zurückgeworfen.

Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat Russland versucht, Kapital aus dieser Schwäche zu ziehen und verfolgt nun klar eine antidemokratische und anti-westliche Großmachtpolitik, die die bisherige Sicherheits- und Friedensarchitektur auf den Kopf stellt.

In einer Zeit, in der angesichts einer Pandemie und des Klimawandels, in der der Druck auf alle Nationen multilateral und global besser und stärker zusammen zu arbeiten als jemals zuvor, teilt sich die Welt erneut auf in Machtblöcke, die anscheinend nur an ihrem eigenen Machtausbau in den jeweiligen Regionen interessiert sind.

Deutschland hat als Exportnation und Mittelmacht in der EU politisches und wirtschaftliches Gewicht und Verantwortung
Die Bedeutung Deutschland als eine der größten Exportnationen und stärkste Wirtschaftsmacht innerhalb Europas ist durch den Brexit noch gewachsen. Nach Ende der Ära Merkel, treten neue veränderte Rahmenbedingungen auf den Plan, die durch den Klimawandel einerseits und durch eine weitere Entfremdung von Russland und China als politische und wirtschaftliche Partner andererseits geprägt sein werden. Deutschland muss sich neu positionieren. Dazu gehören eine Vorbildfunktion für mehr Klimaneutralität aber auch für mehr Sicherheit und Frieden in Europa und der Welt. Durch den Überfall Russlands auf die Ukraine muss Deutschland mit seinen Partnern in der EU seine bisherige Sicherheits- und Außenpolitik überdenken. Die Wirksamkeit von humanitären Interventionen ist mit Afghanistan und Mali an ihre Grenzen gestoßen. Stattdessen muss die EU insgesamt leider wieder stärker ihre militärische Stärke in Europa ausbauen, um sich vor einer möglichen Aggression Russlands zu schützen. Mit der offenen Drohung Russlands Nuklearwaffen einzusetzen, rücken das Atomwaffenverbot und die Ausfuhr von Waffen und Munition in Krisengebiete ebenfalls leider in weite Ferne. Deutschland muss aber seiner Vorbildfunktion als demokratischer Rechtsstaat gerecht werden, indem es nicht allein auf militärische Mittel setzt, sondern auch die zivile Krisenprävention massiv stärkt. Dass ungelöste Konflikte Gewalt und Kriege, verursachen, die ihrerseits Fluchtbewegungen auslösen, von denen Europa und Deutschland betroffen sind, zeigt der Ukrainekrieg erneut in dramatischer Weise.

In Sachen Klimaneutralität hat Deutschland ebenfalls eine Vorbildfunktion, obwohl es global gesehen, flächenmäßig nur einen sehr geringen Teil ausmacht, ist es doch als eine Industrienation ersten Ranges für den CO2-Austoß maßgeblich mitverantwortlich und muss daher nach dem Verursacherprinzip mehr Lasten tragen, bzw. schneller und mehr als andere dazu beitragen, wirkliche Klimaneutralität zu erreichen, denn nur so kann der Klimawandel auch nachhaltig verhindert werden. Dieses Ziel darf trotz der anderen Herausforderungen keinesfalls vernachlässigt werden.

Weltweite Krisen gefährden die Versorgung und lösen weltweite Fluchtbewegungen aus
Menschen anderer kultureller und religiöser Herkunft kommen nach Deutschland und Europa, um hier vor Verfolgung, Krieg, Umweltzerstörung und Naturkatastrophen Zuflucht suchen oder hier eine Möglichkeit zu finden, eine neue Existenz aufzubauen. Viele Einheimische lehnen dies ab und verhalten sich sogar ablehnend den Immigranten gegenüber. Gewöhnlich stellen wir unser eigenes Verhalten im Ausland meist nicht in Frage. Bei der Beurteilung, bzw. leider vor allem auch Verurteilung anderer, die hierherkommen, maßen wir uns jedoch ein Urteil an und reagieren häufig einseitig und intolerant. Dabei sind wir in Zukunft noch weit mehr auf die Ressourcen und die Menschen aus jenen Ländern angewiesen, in denen häufig auch deswegen Not und Elend herrschen, weil wir ihre billige Arbeitskraft ausnutzen, indem sie uns mit Rohstoffen und billigen Warengütern versorgen. Das schafft Abhängigkeiten, die zuweilen auch die Sicherheit und den Frieden bedrohen. Angesichts der anhaltenden Krisensituationen und die durch den Klimawandel und die daraus entstehenden Engpässe bei der Versorgung, sind neue nachhaltige Produkte und neue Produktionsstätten nötig. Dazu braucht es aber mehr Direktinvestitionen, die z.B. in Afrika und anderswo bitter nötig wären, um den Menschen eine Perspektive zu geben und sie dazu bewegen würde, in ihrem Land zu bleiben. 

Die Welt und unsere Umwelt verändern sich – Vieles erscheint fremd und neu
Die Folgen unseres Handelns auf anderen Kontinenten werden auch für uns selbst immer schneller fühlbar. Globale Zusammenhänge werden immer deutlicher in einer endlichen Welt. Eine rein national ausgerichtete Politik kann den aktuellen Herausforderungen nicht mehr gerecht werden. Politscher Dialog kann nicht mehr allein national gestaltet werden, sondern muss auf allen Ebenen international, multilateral, interreligiös und interkulturell und interpersonal geführt und organisiert werden. Die Evangelischen Akademien sind die protestantischen Stimmen in diesem Konzert. Sie wenden sich nicht nur an Christen, sondern an alle Menschen – gleich welchen Glaubens, Geschlechts, Hautfarbe, Nation, kultureller oder ethnischer Herkunft.

Unter dem Motto „Fremd – Vertraut“ wollen wir, die Evangelische Akademie im Rheinland, politische Orientierung geben, aufklären und zum Gespräch und Diskurs einladen.